Angesichts eines zunehmenden globalen Wettbewerbs und verkürzter Produktlebenszyklen wird es immer mehr zur Herausforderung, gute strategische technologische Entscheidungen zu treffen. Unklare künftige Entwicklungen und eine instabile Gegenwart machen es schwieriger denn je vorherzusagen, welche Technologien sich zukünftig auf dem Markt durchsetzen werden. Die Lösung mag kontraintuitiv klingen: Um gute technologische Entscheidungen zu treffen, sollten Sie sich nicht ausschließlich auf Technologien fokussieren.
In diesem Artikel erkläre ich, warum die Nachfrageseite Ihres Marktes die stabilere Variable in der Gleichung ist, und warum es für Unternehmen so schwierig ist, ihr Technologiemanagement kundenzentriert aufzustellen. Abschließend beschreibe ich, warum langfristig gültige Kundenbedürfnisse sowie soziale, technologische, wirtschaftliche und politische Entwicklungen für eine erfolgreiche strategische technologische Entscheidungsfindung wesentlich sind, und wie diese Aspekte in Ihr Technologiemanagement integriert werden können.
Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, oder erfahren es im eigenen Unternehmen, dass die Wettbewerbsdynamik in vielen Branchen zunimmt, und sich Märkte in immer schnellerem Tempo verändern. Dieses Phänomen wird als „Hyperwettbewerb“, „High Velocity“ oder „VUCA-Welt“ bezeichnet.
Die Folgen dieses zunehmend dynamischen Umfelds sind vielfältig, führen jedoch in erster Linie zu kürzeren Produktlebenszyklen, und damit zu einem erhöhten Druck, ständig neue Produkte und Technologien zu entwickeln. So stellte auch McKinsey in einer Studie aus dem Jahr 2017 fest, dass die durchschnittliche Lebensdauer der Standard & Poor’s 500 Unternehmen von 61 Jahren auf 18 Jahre gesunken ist.
Unter diesen Bedingungen ist die Gefahr hoch, in eine Technologiefalle zu tappen und vom Markt zu verschwinden, weil man in Technologien investiert, die nicht den wirklichen Marktbedürfnissen entsprechen – und damit das Los ehemaliger Marktführer wie Blackberry, Yahoo, MySpace oder Compaq zu teilen, um nur einige zu nennen.
Zu keiner Zeit in der Vergangenheit war die Gefahr der Disruption größer, und zu keiner Zeit war es wichtiger, auf die richtigen Technologien zu setzen. In der heutigen VUCA-Welt sind Unternehmen gezwungen, aufkommende neue Technologien frühzeitig zu identifizieren, und zu erkennen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, zu einer neuen Technologie zu wechseln.
In solch einem instabilen Umfeld ist es ein Kardinalfehler, Märkte anhand von Technologien oder Lösungen zu definieren. Denn die Basistechnologien von heute werden die Veralteten von morgen sein – und das schneller als jemals zuvor.
Hand aufs Herz: Wie sieht es in Ihrem Unternehmen aus? Wird Ihr Unternehmen zumindest zum Teil durch die angebotenen Produkte oder Technologien definiert? Und wenn ja, haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Sie wirklich gute Technologieentscheidungen treffen können, wenn Sie nicht wissen, welchen (gegenwärtigen oder zukünftigen) Job des Kunden die jeweilige Technologie überhaupt bedient? Und was ist überhaupt der Job des Kunden?
Auf der Suche nach einer erfolgversprechenderen Vorgehensweise versuchen viele Unternehmen, ihre Märkte auf kundenzentrierte Weise zu definieren. Dies ist jedoch einfacher gesagt als getan. Sicherlich kennen Sie das Zitat das Henry Ford zugeschrieben wird: “Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Dieses Zitat deutet die Herausforderungen einer vermeintlich “kundenorientierten“ Sichtweise an.
Zwar konzentrieren sich Unternehmen auch in ihrem Technologiemanagement zunehmend auf Kunden, aber nur wenige gehen so weit, ihr Unternehmen oder eine Produktstrategie auf dem job-to-be-done (JTBD) ihrer Kunden aufzubauen. Die JTBD-Perspektive fragt nicht danach, was die Kunden wollen, sondern was sie zu erreichen versuchen. Bei dieser Sichtweise werden Märkte nicht durch bestehende Lösungen (= Produkte, die auf bestimmten Technologien basieren) definiert, sondern durch einen “Job Executor“, der einen bestimmten Job erfüllen will. Das hat vor allem für das Technologiemanagement Vorteile: denn ein gut formulierter job-to-be-done eines Kunden ist über viele Jahre hinweg stabil, wie das folgende Beispiel zeigt.
Karosserien für Personenkraftwagen haben ihren Ursprung in der Kutsche. Doch diejenigen Stellmacher, die sich auf den Bau von Kutschen für einen “Kutschenmarkt“ beschränkten, sahen sich mit dem Zusammenbruch der Nachfrage konfrontiert, als die ersten Automobile entwickelt wurden.
Nur die Stellmacher, die einen job-to-be-done des Kunden im damaligen Kutschenmarkt bedienten, entwickelten sich weiter. Mit einem Selbstverständnis als Anbieter von (Kabinen für) Personenbeförderung, entwickelten sich diese Unternehmen über den Weg des Karosseriebauers zu Herstellern von Personen- oder Nutzkraftwagen (manchmal in Kooperation mit Maschinenbauern). So ging beispielsweise Fisher Body & Co in General Motors auf, Carrozzeria Mario Casaro wurde von Viberti/Wielton gekauft, und Carrozzeria Boneschi sowie Karman wurden in Fiat und VW integriert.
Andere Stellmacher entwickelten sich abhängig von dem jeweiligen job-to-be-done, den sie bedienten, zu Automobilhändlern (Joseph Cockshoot Co. Ltd. für Rolls-Royce und Bentley), industriellen Autoteileherstellern (Drauz-Werke zu ThyssenKrupp) oder zu Sitzherstellern (Reutter zu Recaro Holding).
Dieses Beispiel verdeutlicht zwei Aspekte. Erstens, dass es viele Jobs in einem Markt gibt und man sich als Unternehmen entscheiden muss, welche man bedienen wird. Zweitens, dass sich Lösungen und Technologien, nämlich dass ein Pferd die Antriebskraft einer Kutsche ist, im Laufe der Zeit verändern. Im Gegensatz dazu blieb der zugrundeliegende job-to-be-done “eine oder mehrere Personen (mehr oder weniger bequem) von einem Punkt zum anderen zu befördern“ seit mehr als 200 Jahren bis heute konstant bestehen.
In der heutigen schwer gebeutelten Automobilindustrie verändern sich sowohl die Antriebstechnologien als auch die Bedienung ehemals sekundärer Bedürfnisse (was wir im JTBD-Universum als related jobs bezeichnen würden) durch neue Lösungen, oder durch neue Anbieter mit anderen Lösungskompetenzen (z. B. autonomes Fahren/Google usw.). Auch hier werden bestehende Lösungen und Technologien in Frage gestellt, während der zugrundeliegende job-to-be-done weiterhin unverändert bleibt und es auch in Zukunft bleiben wird.
Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Beispiel ist, dass die Lösungs-/Technologieseite weniger stabil ist, als Sie vielleicht denken, während eine Nachfrageseite relativ stabil ist, wenn sie über das Jobs-to-be-Done (JTBD) Framework definiert wird.
Indem Sie das Selbstverständnis Ihres Unternehmens nicht auf den angebotenen und entwickelten Technologien aufbauen, sondern auf dem job-to-be-done, den Sie bedienen, vermeiden Sie eine Falle. Stattdessen richten Sie Ihre Innovations- und Technologiestrategie auf einem stabilen “Leitstern“ aus, der Ihnen bei der Suche nach und bei der Entwicklung von neuen Technologien und Lösungen Orientierung bietet.
Sich als Unternehmen über den Job des Kunden und den damit verbundenen Kundenbedürfnissen zu definieren, mit all seinen Konsequenzen, ist eine große Herausforderung. Unternehmen existieren naturgegebener Weise deshalb, weil sie eine erfolgreiche Lösung für ein Kundenproblem bereitgestellt haben. Umso schwieriger ist es, sich im Laufe der Zeit von dieser (in der Vergangenheit) erfolgreichen Lösungsfamilie bzw. dem entsprechenden Technologiefeld zu lösen und sich weiterzuentwickeln, um den job-to-be-done mit anderen, besseren Technologien zu bedienen.
Herausforderungen ergeben sich aus der sogenannten Pfadabhängigkeit, das heißt frühere Entscheidungen für Investitionen in ein bestimmtes Forschungsgebiet oder Technologien, sowie aus der bestehenden Organisationskultur, der Wissensbasis und den Mitarbeitern des Unternehmens: denn Aufgaben, Fähigkeiten und Kenntnisse von Mitarbeitern sind oft technologiebezogen.
Diese Aspekte führen zu einer organisationalen Trägheit, die bis zu einem gewissen Grad auch wichtig und notwendig ist: Denn einerseits muss man gut eingespielte, stabile Prozesse etabliert haben, um als Unternehmen langfristig erfolgreich zu sein. Andererseits liegt in dieser Stabilität (oder Rigidität, wenn man so will), allerdings auch die Herausforderung für den Wandel und die Anpassung an technologische Veränderungen, um den gegenwärtigen oder zukünftigen job-to-be-done besser bedienen zu können.
Unternehmen müssen somit einen Spagat schaffen: sie müssen einerseits heutige Märkte (oder jobs-to-be-done) mit den bestehenden erfolgreichen Fähigkeiten und Technologien bedienen, und parallel dazu Lösungen mit neuen Technologien entwickeln, die die aktuellen und zukünftigen jobs-to-be-done noch besser bedienen können. Diesen Balanceakt nennt man „Organisationale Ambidextrie“ – und um diesen Zustand zu erreichen braucht es zwar ein gutes Budget und Ressourcen, aber auch noch mehr als das (lesen Sie mehr über relevante Fähigkeiten und Kenntnisse in diesem Blog). Die Analyse dieses Zielkonflikts kann Ihnen ebenfalls dabei helfen zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für einen Technologiewechsel gekommen ist.
Technologien entwickeln sich jedoch nicht gleichmäßig, und ob sich eine Technologie durchsetzt, hängt stark von den Umfeldbedingungen ab. Klassische Konzepte wie das S-Kurven-Modell (Foster/McKinsey) und der Technologie-Lebenszyklus (Arthur D. Little) haben versucht, Technologien zu bewerten und Antworten darauf zu geben, wann ein Technologiewechsel unter Berücksichtigung von Grenznutzen und Produktivität erfolgen sollte. Diese Konzepte sind jedoch in der Anwendung problematisch, da sie idealistische Prozesse beschreiben, und die Rolle der Umfeldbedingungen vernachlässigen.
Auch wenn Technologien hinsichtlich ihrer potenziellen Auswirkungen und ihres Zwecks unterschieden werden müssen (z.B. Schrittmachertechnologien vs. Basistechnologien usw.), gibt es eine gemeinsame Grundlage, bei der das JTBD-Konzept Sie beim Verständnis und beim Umgang mit diesen Entwicklungen unterstützen kann. Kehren wir zu unserem Beispiel aus der Automobilindustrie zurück, um dies zu veranschaulichen:
Schon vor 1886 (Carl Benz) hatte es durch Maschinenkraft angetriebene Fahrzeuge gegeben. Allerdings konnten sich damals weder dampfgetriebene Fahrzeuge noch jene mit Elektromotor durchsetzen. Letztere Technologie feiert derzeit ihr Comeback (und der deutschen Automobilindustrie wird vorgeworfen, den Wandel zu e-Mobilität verschlafen zu haben).
Sie haben sich vielleicht gefragt, warum sich der Elektromotor nicht schon vor 150 Jahren durchgesetzt hat? Eine kurze Erklärung aus der JTBD-Perspektive: Weil die Technologie damals den job-to-be-done, die Kundenbedürfnisse und damit verbundene jobs nicht besser lösen konnte als der Verbrennungsmotor.
Heute hat sich viel geändert: Die Elektroauto-Technologie ist viel weiter fortgeschritten, und kann Kundenbedürfnisse adäquat erfüllen, und sie punktet bei Abgasemissionen und Energiekosten im Vergleich zu Benzin- und Dieselaggregaten. Das heißt, dass die Renaissance des Elektroantriebs auch durch ein verändertes Umfeld (erinnern Sie sich an die STEP-Formel: gesellschaftliche, technologische, politische, wirtschaftliche Entwicklungen) begründet liegt – das ist ein entscheidender Punkt, den man im Auge behalten sollte.
Halten wir fest: Um über Forschung und Technologien für mögliche Zukünfte zu entscheiden, ist es wesentlich, den job-to-be-done, den diese erfüllen sollen, klar zu definieren. Darüber hinaus müssen neben den technologischen auch die möglichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen berücksichtigt werden.
Wie diese einzelnen Aspekte in einem Framework integriert werden können, wird im folgenden Kapitel aufgezeigt.
Ein Konzept, das Sie bei der Integration all dieser Aspekte unterstützen kann, ist das breite Feld der strategischen oder unternehmerischen Vorausschau (Strategic/Corporate Foresight). Es ermöglicht potenzielle externe Veränderungen frühzeitig zu erkennen, indem schwache Signale, aufkommende Trends und Entwicklungen identifiziert werden. Technologien, die das Potenzial haben, ausgehend von Nischen auch für zentrale Märkte relevant zu werden, können mit Strategic Foresight erkannt, und die Entwicklung neuer Technologien unterstützt werden.
Durch das Erkennen zahlreicher potenzieller Zukunftspfade und durch die Entwicklung von Strategien zur Gestaltung dieser potenziellen Zukünfte unterstützt Strategic Foresight außerdem den Prozess der Festlegung einer kohärenten Vision und Unternehmensstrategie. Im Rahmen dieses Konzeptes werden verschiedene Methoden wie Szenario-Methode, Horizon Scanning, (Technology-)Roadmapping, Technologiemonitoring (lesen Sie diesen Blog um mehr zu erfahren) oder die Delphi-Technik eingesetzt.
Auch die interne Sicht, d.h. die Fähigkeiten, Ziele und Visionen des Unternehmens, kann in diesem Rahmen berücksichtigt werden, und vervollständigt die benötigten Perspektiven. So kann in Kombination mit JTBD eine Vision mit klar definierten jobs-to-be-done, die in der Zukunft bedient werden sollen, entwickelt werden.
Für ein erfolgreiches Tech-Rezept sollten Sie sich vor Augen halten, dass die Aufgaben Ihrer Kunden die wichtigsten Zutaten sind und den Geschmack des Gerichts ausmachen. Entwickeln Sie also eine Vision auf der Grundlage klar definierter jobs-to-be-done ihrer Kunden und der zu bedienenden Job Exekutoren (= Kundensegmente) unter Berücksichtigung Ihrer organisatorischen Fähigkeiten, testen Sie potentielle Technologien auf ihre Fähigkeit, diese definierten Jobs auch in Zukunft zu bedienen, und analysieren Sie die relevanten Auswirkungen möglicher STEP-Entwicklungen. Guten Appetit!
Sie sind interessiert an Jobs-to-be-Done in der Automobilindustrie und in anderen Branchen? Dann melden Sie sich gleich für unsere JTBD Master Class Advanced von 05.-06. Oktober 2022 bei MHP – a Porsche Company in Wolfsburg (Deutschland) an. Diskutieren Sie über “How to Innovate Mobility and Create Measurable Value For People” unter Betrachtung von praktischen Beispielen aus dem Umfeld der Volkswagen AG.
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