Vor einigen Monaten erschien plötzlich ein Störungsbild in der linken oberen Ecke meines Fernsehers. Er hat schon einige Jahre auf dem Buckel, und ich bin technisch nicht sehr versiert, also sagte ich mir – nach ein paar Versuchen, ihn aus- und einzuschalten hatte, den Stecker zu ziehen und ihm einen Klaps zu geben – “Wieso nicht einen neuen TV kaufen, vielleicht ein etwas größeres Modell?“
Aus ökologischer und Nachhaltigkeits-Sicht ist diese Situation mehr als ungünstig. Denn laut einer Studie des deutschen Umweltbundesamtes ist weniger als die Hälfte der weggeworfenen Fernsehgeräte tatsächlich defekt. Der überwiegende Teil der in der Studie untersuchten TVs war noch funktionstüchtig, oder konnte mit minimalem Aufwand repariert werden. Dieser Fakt ist umso gravierender, wenn man bedenkt, dass die graue Energie (d.h. die Energie, die für die Herstellung, den Transport und die Entsorgung benötigt wird) zwei- bis dreimal so hoch ist als die Gesamtmenge an Energie, die ein Fernsehgerät während seiner gesamten Lebensdauer verbraucht, so eine Schweizer Informationsplattform für Energie und Umwelt. Darüber hinaus ist die Herstellung von elektronischen Geräten extrem ressourcen- und chemikalienintensiv, wie Benoit Cushman-Roisin, Professor für Ingenieurwissenschaften am Dartmouth College, darlegt: “Im Herstellungsprozess wird meist ein Vielfaches an Chemikalien verbraucht, als schlussendlich im physischen Produkt landet.“ Fernseher enthalten seltene Erden und oft auch schädliche Substanzen wie Flammschutzmittel, Schwermetalle oder Weichmacher.
Wie der Zufall es will, las ich kurz nach meinem TV-Ausfall den wissenschaftlichen Artikel “Towards circular business models: Identifying consumer needs based on the jobs-to-be-done theory“ von Hankammer und Piller et al. In dem Artikel demonstrierten die Autoren, wie untererfüllte Kundenbedürfnisse von TV-Konsumenten, die eine “ entertainment interruption“ aufheben wollten, mit der Outcome-Driven Innovation® (ODI) Methodik identifiziert wurden. Die Wissenschaftler betonten den Sinn und Nutzen der Methode, um Wertschöpfungspotenzial nicht nur für Kunden, sondern auch für die Umwelt aufzudecken.
Die Kundenbedürfnisse mit dem größten Wertsteigerungspotenzial in diesem Zusammenhang waren:
Es war unglaublich: all meine Überlegungen bzw. alles was mich davon abhielt, mich um die Reparatur meines Fernsehers zu kümmern, fand sich in diesen beiden sehr präzisen und scharf abgegrenzten Kundenbedürfnis-Statements wieder. Denn die Wahrheit war (und das wurde mir erst in diesem Moment bewusst): Ich wollte eigentlich gar keinen neuen Fernseher. Ich hatte überhaupt nicht den Wunsch nach einem größeren Fernseher. Es war eher ein Vorwand, um vor mir selbst zu rechtfertigen, dass ich ein möglicherweise noch funktionierendes oder leicht zu reparierendes Gerät wegwerfen würde. Aber mir fehlten Informationen darüber, wer meinen Fernseher reparieren könnte, wie viel dies kosten würde und ob eine Reparatur überhaupt möglich war – und ich wollte nicht zu viel Zeit und Geld investieren, um das herauszufinden.
Wissenschaftler Hankammer und seine Kollegen argumentieren in ihrem Artikel, dass Kundezentrierung der Schlüssel für die Entwicklung von Produkt-Service-Systemen (d.h. ein aufeinander abgestimmter Mix aus materiellen Produkten und immateriellen Dienstleistungen) ist, welche sowohl Wert für Konsumenten als auch einen Nutzen für Umwelt und Gesellschaft generieren. Denn Konsumenten werden ein ressourcenschonendes bzw. nachhaltiges Angebot eher akzeptieren, wenn dieses mit einem persönlichen Vorteil verbunden ist. Es ist die Aufgabe der Unternehmen, die Bedürfnisse der einzelnen Konsumenten (= Bedürfnisse, die mit Outcome-Driven Innovation® identifiziert werden können) mit konkreten Zielen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz (= Aufgaben und Bedürfnisse aus der Perspektive der Gesellschaft) zu verbinden.
Die von den Wissenschaftlern durchgeführte ODI-Studie ergab, dass die am stärksten untererfüllten Bedürfnisse in Zusammengang mit einem Mangel an Information und Know-how bzw. mit den damit verbundenen Gefühlen von Stress und Anstrengung standen. Diese Einsicht könnte ein wertvoller Input für die Entwicklung neuer Services sein, die die Selbstreparatur erleichtern, beispielsweise eine Software zur Fehlererkennung, eine Datenbank mit Reparaturanweisungen oder eine “Repair Community“. Das Wissen könnte auch dazu verwendet werden, einen Fernseher schon in der Produktentwicklung so zu designen, dass er leichter repariert werden kann, z.B. durch einen modularen Aufbau.
Nachhaltigkeitsaspekte werden für eine wachsende Anzahl von Konsumenten immer wichtiger und sind zunehmend ein wesentliches Kriterium in täglichen Kaufentscheidungen. Unternehmen müssen diese Aspekte in ihre Produkt- und Dienstleistungsinnovationen und in ihre Geschäftsmodelle integrieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Weltweit führende Unternehmen haben diesen Weg bereits eingeschlagen, wie beispielsweise die umfassende Informations-Website von Samsung zu nachhaltiger Produktion und Ressourceneffizienz zeigt. Kundenzentrierte Innovationsansätze wie Outcome-Driven Innovation® (ODI) werden in Zukunft noch relevanter werden, da sie es ermöglichen, die Erfüllung individueller untererfüllter Kundenbedürfnisse mit der Schaffung von gesellschaftlichem Nutzen zu verbinden. Es sind folglich nicht nur die Unternehmen, die aus einer stärkeren Kundenzentrierung profitieren; auch Umwelt und Gesellschaft können Vorteile aus einer kundenzentrierten Vision, aus kundenzentrierten Produkten und Dienstleistungen und aus kundenzentrierten Marketing- und Verkaufsbotschaften ziehen.
Wissen Sie, wie ich mein persönliches TV “entertainment interruption“ Problem gelöst habe? Ich fuhr für zwei Wochen in den Urlaub, und als ich zurückkam, funktionierte mein Fernseher wieder einwandfrei. Ich muss gestehen: ich war wirklich erleichtert, keinen größeren Fernseher gekauft zu haben, und genoss einen ungestörten Filmabend mit meinem perfekt für mich passenden alten Gerät.
Kreislaufwirtschaft:
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