Die Vorbereitung und Durchführung von Innovations- und Strategieworkshops ist eine der Kernaufgaben – wenn nicht sogar die Kernaufgabe schlechthin – von Beratern wie mir. In solchen Workshops ist es oft unvermeidlich, dass zwei unterschiedliche “Kulturen“ oder “Mindsets“ aneinander geraten: denn in so gut wie jedem Workshop gibt es eine “Technology Push“ und eine “Market Pull“ Fraktion unter den Teilnehmern.
Für Anhänger des “Technology-Push“ Ansatzes sind erfolgreiche Innovationen das Ergebnis von F&E Abteilungen, Forschungslaboren oder Technologie-Inkubatoren. Befürworter des “Market Pull“ Ansatzes argumentieren, dass erfolgreiche Innovationen aus einer intensiven und sorgfältigen Untersuchung von (unerfüllten) Kundenbedürfnissen resultieren (die dann mit den entsprechenden Technologien erfüllt werden).
Sicherlich finden Sie auch aus Ihrer Erfahrung eigene Beispiele von Unternehmen, die der “Technology Push“ oder der “Market Pull“ Kultur jeweils näherstehen. Und auch innerhalb jedes Unternehmens und im Innovationsteam selbst gibt es Personen, die mehr oder weniger stark einer dieser beiden Denkrichtungen zugeordnet werden können – geprägt und abhängig von ihrer Position, ihrem beruflichen Werdegang und ihrer persönlichen Veranlagung bzw. der Offenheit, alternative Standpunkte einzunehmen.
Die Aussöhnung von “Technology Push“ und “Market Pull“
Ich möchte Ihnen eine typische Workshop-Situation vorstellen, wie ich sie schon oft erlebt habe. Dazu müssen Sie wissen, dass ich sehr stark marktorientiert geprägt bin, da ich im Kern meiner Tätigkeit mit Outcome-Driven Innovation® (ODI) arbeite, einer Methode, die Kundenbedürfnisse fast schon radikal ins Zentrum ihrer gesamten Wirkweise stellt. Zu Beginn des Workshops führe ich meine Zuhörer in der Regel in die Grundsätze der Kundenzentrierung im Allgemeinen und der “Jobs-to-be-Done“ (JTBD) Denkweise im Besonderen ein (weitere Informationen dazu finden Sie im Whitepaper-Bereich auf unserer Website). Diese Grundsätze lauten:
Oft ertönt an dieser Stelle eine Stimme aus dem Publikum, sagen wir vom Leiter der F&E Abteilung: “Entschuldigen Sie, dass ich unterbreche, aber wie soll uns all dies bei der Entwicklung der nächsten Produktgeneration helfen? Welche Technologien sollten wir überwachen, und welche dieser Technologien könnten sich in Zukunft negativ auf unser Geschäft auswirken? Übrigens, wussten Sie, dass ein Silicon Valley Startup bereits an XYZ arbeitet? Seien wir doch mal ernsthaft: Unsere bestehenden Kunden werden uns doch nicht sagen können, welche Technologien sie morgen gerne in ihren Händen halten würden!“
Meist folgt auf diese Art von Kommentaren ein betretenes Schweigen in der Gruppe. Für manche Workshop-Moderatoren ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um einen dringlichen und unaufschiebbaren Telefonanruf vorzutäuschen. Andere versuchen sich ein Bild von der Lage zu verschaffen und potenzielle Verbündete zu identifizieren, indem sie in den Gesichtern der Teilnehmer nach Zeichen von Zustimmung oder Kritik zur obigen Aussage suchen (achten Sie das nächste Mal auf die Augenbewegungen des Moderators, wenn Sie in einem Innovationsworkshop sitzen).
Ich persönlich habe mich nach dieser Erfahrung dafür entschieden, solche Situationen gänzlich zu vermeiden. Wie das geht? Bevor ich überhaupt auf Einzelheiten zur Kundenzentrierung und zu JTBD eingehe, nutze ich die ersten Minuten eines Workshops, um folgendes klarzustellen: (1) Ich bin mir voll und ganz bewusst, dass es “Technology Push“ oder der “Market Pull“ Mindsets in diesem Raum gibt, und (2) ich möchte, dass diese Haltungen nicht gegeneinander, sondern auf Augenhöhe miteinander zusammenarbeiten!
Denn wir brauchen tatsächlich beide Sichtweisen, die als untrennbaren Komponenten in der Innovationsgleichung miteinander verbunden sind: “Erfolgreiche Innovation = unerfülltes Bedürfnis + die passende Lösung“. Die Jobs-to-be-Done-Denkweise kann einer Organisation helfen, die Kompetenzen der Technologieforschung und die Vorteile einer kundenzentrierten Marktsicht zusammenzubringen. Schauen wir uns an, wie das geht.
Wie JTBD Kundenorientierung in das Technologie-Monitoring einbringt
Im Jahr 2010 veröffentlichte das renommierte Fraunhofer-Institut einen Artikel, der für das Technologie-Monitoring typische Methoden und Prozessschritte zusammenfasst. Der Artikel skizziert vier universell anwendbare Phasen eines Technologie-Monitoring Prozesses: 1) Identifizierung relevanter Technologien und Anwendungsbereiche, 2) Sammlung von Informationen über diese, 3) Bewertung der identifizierten Technologien und 4) Kommunikation der Ergebnisse des Technologie-Monitorings.
Werfen wir einen Blick auf jede dieser Phasen und sehen wir uns an, wie die Jobs-to-be-Done Denkweise Ihnen helfen kann, die Herausforderungen der jeweiligen Phase zu bewältigen:
Wie JTBD helfen kann: Betrachten Sie Ihre Innovationsspielwiese aus der JTBD Brille und identifizieren Sie die Jobs-to-be-Done, für die Ihr Unternehmen innovativ etwas beitragen könnte. Vergessen Sie die Produkte und Dienstleistungen, die Sie derzeit anbieten, und fragen Sie sich stattdessen: Für welche Aufgabe verwenden welche Personen (= Job Executors) unsere Produkte und Dienstleistungen? Zu Papier gebracht und visualisiert, entsteht daraus meist ein “job-based“ Markt-Ökosystem. Dies ist die Innovationslandkarte Ihres Unternehmens. Wenn Sie in der zweiten Phase nach erfolgsversprechenden Technologien Ausschau halten, können Sie jederzeit auf diese Landkarte zurückkommen und sich fragen: Könnte diese Technologie irgendeinen Vorteil für einen oder mehrere Job Executors in meinem Markt-Ökosystem liefern? Wenn nicht, legen Sie die Schachtel mit den Stecknadeln weg. Falls doch, nehmen Sie eine Stecknadel und heften Sie die Technologie an jenen Teil des Ökosystems, auf den dies zutrifft.
Wie JTBD helfen kann: Nutzen Sie das Jobs-to-be-Done Rahmenwerk und die konkreten, einzelnen Job Steps, um das Suchfeld für das Arbeitsteam klar abzustecken. Die Verwendung dieser “Job-Language“ hat zwei Vorteile: Zum einen sucht das Arbeitsteam damit automatisch nach anwendungsorientierten ( = Technologieanwendung) und nicht theoriegeleiteten ( = Technologiemerkmal) Aspekten. Zum anderen erweitert sich der Handlungsspielraum der einzelnen Technologie-Scouts, indem sie dazu angehalten werden, selbst Querverbindungen herzustellen: Lassen Sie sich überraschen von den Ergebnissen, die oft spannende Zusammenhänge zwischen unerwarteten Technologien und deren Relevanz für Ihr Unternehmen aufdecken.
Wenn wir von “Technologien“ sprechen, so geht es in dieser Phase nicht nur um tatsächliche neue Technologien wie beispielsweise 3D-Druck, personalisierte Medizin/Pharmakologie, kontaktlose Energieübertragung. Oft ist es hilfreich, in einer zweiten Runde auch an Unternehmen (etablierte Unternehmen, Start-ups, Spin-offs usw.) zu denken, die Lösungen und Services auf der Grundlage einer jener Technologien anbieten, die Sie bereits identifiziert haben. So könnte der 3D-Druck beispielsweise den Job-to-be-Done des Architekten, ein Gebäude zu entwerfen revolutionieren (sehen Sie sich dieses Beispiel an) oder den JTBD einer Baufirma, ein Gebäude zu errichten (vgl. das vollständig 3D-gedruckte Kanalhaus oder den PERI 3D-Druck).
Wie JTBD helfen kann:
In diesem Prozessschritt helfen Ihnen die Messkriterien, mit denen Job Executors ihren Erfolg bei der Ausführung eines Job-to-be-Done beurteilen, bei der Bewertung der identifizierten Technologien. Wir nennen diese Messkriterien “Desired Outcomes“. Zu jedem JTBD beschreiben 50-150 “Outcome-Statements“ was genau ein Job Executor hinsichtlich seines spezifischen Job genau erreichen möchte – und zwar völlig unabhängig von den jeweiligen Produkten und Services. Unabhängig davon, um welchen Job-to-be-Done es sind handelt, möchten Menschen in der Regel drei Dinge verbessern: Sie möchten Zeitaufwand, Fehler oder Ineffizienzen minimieren.
Nun können Sie diese “Outcome-Statements“ auf zwei unterschiedliche Arten verwenden: Wenn Sie bereits wissen, mit welchen dieser gewünschten Ergebnisse Ihre Zielpersonen am meisten zu kämpfen haben, dann ziehen Sie diesen begrenzten Satz von “Outcome-Statements“ heran und fragen sich: “Ist die identifizierte Technologie in der Lage, die Zufriedenheit mit einem dieser Outcomes zu verbessern? Wenn ja, würde sich eine Verbesserung stark oder schwach auf die Zufriedenheit auswirken? Vergessen Sie auch nicht, zu fragen: “Ist diese Technologie möglicherweise in der Lage, ganze Job Steps bis hin zu kompletten Jobs-to-be-Done, die in meinem Ökosystem heute existieren, überflüssig zu machen?
Wenn Sie die wesentlichsten unerfüllten Outcomes Ihrer Zielgruppe noch nicht kennen, dann versuchen Sie, von der Technologie auszugehen: Anstatt nur deren Merkmale zu beschreiben, machen Sie die zusätzliche “Hausaufgabe“ und formulieren Outcome Statements, die beschreiben, welche Ergebnisse die Technologie verbessern könnte: Minimiert die Technologie die benötigte Zeit für die Durchführung von XYZ? Minimiert sie die Wahrscheinlichkeit, dass XYZ eintritt? Manchmal können diese Outcome-Statements einfach formuliert werden, bei Technologien mit einer großen Anwendungsbreite kann dies jedoch schwieriger werden. Weit wesentlicher als das 100%ig richtige Ergebnis zu erzielen ist es, dass Sie lernen, in der JTBD Perspektive zu denken.
Wie JTBD helfen kann:
Selbst in diesem Prozessschritt sind Jobs, Job Steps und Outcome-Statements hilfreich, um die Relevanz einer Technologie für Ihre Kollegen und das Führungsteam zu unterstreichen. Indem Sie eine Technologie oder deren Anwendung mit den jeweiligen Jobs-to-be-Done und den Ergebnissen, die sie verbessern wird, in Beziehung setzen, helfen Sie Ihrem internen Publikum, mentale Brücken zu schlagen: Schließlich hat es eine viel stärkere Antriebskraft, wenn eine Technologie anhand möglicher Auswirkungen im Markt-Ökosystem beschrieben wird, anstatt lediglich anhand ihrer Merkmale.
Die Jobs-to-be-Done Denkweise und Technologien der Zukunft
Einige abschließende Gedanken: Manchmal tauchen neue Technologien am Horizont auf, bei denen nicht einmal klar ist, auf welche Jobs-to-be-Done der Zukunft sie sich überhaupt auswirken könnten. Doch selbst in diesem frühen Stadium der Technologieentwicklung kann die JTBD Denkweise helfen, Technologien zu bewerten: Gehen Sie ein Abstraktionslevel höher und fragen Sie sich: “Welche Art von Jobs-to-be-Done könnte diese bestimmte Technologie in Zukunft innovieren? Ist es wahrscheinlicher, dass sie eher vorbereitende Jobs (= planen, Rahmenbedingungen schaffen), ausführende Jobs ( = das tatsächliche Tun von etwas) oder eher nachbereitende Jobs (= etwas überwachen, Prozesse und Schnittstellen verbessern) unterstützt?“
Nehmen wir die Blockchain-Technologie als Beispiel: Hier könnte man argumentieren, dass dies eine so mächtige, potenziell weitreichende Technologie ist, dass es heute noch völlig unklar ist, für welche Jobs-to-be-Done in Zukunft sie einen Mehrwert liefern könnte. Meine Antwort darauf wäre, dass aufgrund der Eigenschaften und Beschaffenheiten dieser Technologie vor allem “post-executional“, d.h. nachbereitende Jobs-to-be-Done adressiert werden könnten, also JTBD, wo vorwiegend Überwachung, Prozessmanagement und Prozessverbesserungen erforderlich sind. Wenn es also in Ihrer Branche viel um Vorschriften, Überwachungsanforderungen und dergleichen geht, dann sollten Sie vielleicht noch einen Schritt weiter gehen und konkrete Jobs-to-be-Done in Ihrem Ökosystem identifizieren, für die die Blockchain-Technologie in Zukunft relevant werden könnte.
Zu diesem Thema gibt es sicherlich noch viel mehr zu sagen und zu diskutieren. Aber das ist alles, was ich vorerst aufschreiben wollte – ich freue mich auf Ihre Gedanken und spannende Diskussionen mit dem einen oder anderen Leser. Schreiben Sie mir einfach persönlich an oliver.ratschka@edizon-innovation.com.
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